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Ich habe ein ernstes Problem mit dem Bösen

Mehr als anderthalb Jahre sind seit dem dritten Pearl Jam Album "Vitalogy" vergangen, nun gebt es Nachschub mit "No Code". Und was sich, wenn auch noch zaghaft, auf dem Vorgänger schon angedeutet hatte, findet hier tatsächlich in größerem Ausmaß statt: "No Code" wartet mit einer breitgefächerten Palette von möglichen Pearl Jam- Inkarnationen auf.

Neben der gewohnt rauh- geradlinigen Rockband geben Pearl Jam hier die Percussion- dominierte Gospel- Kapelle ("Who You Are"), die akustisch- folkigen Balladensänger ("Off He Goes"), die behutsam- mystischen Stimmungsmaler ("I'm Open") oder die fast schüchterne Lo- Fi- Band ("Sometimes").

"Ich habe keine Ahnung, wie unser Publikum das Album aufnehmen wird, denn es ist völlig anders geworden als alles, woran ich bisher beteiligt war", gab Bassist Jeff Ament bei einem der raren Interview- Auftritte von Pearl Jam- Bandmitgliedern gegenüber amerikanischen Journalisten zu Protokoll. "Es gibt eine Reihe von Songs, die mehr in die von Pearl Jam gewohnte Richtung gehen, aber unsere Absicht war gewesen, davon wegzukommen. Schon seit der ersten Platte hatte ich immer das Gefühl, daß uns einige unserer Sachen Raum zum Wachsen boten, aber für mich ist dieses Album der bisher größte Schritt." Möglichkeiten zum Erweitern ihres musikalischen Horizonts boten sich dem Quintett aus Seattle in der letzten Zeit ja reichlich, sowohl gemeinsam (als Begleitband von Altmeister Neil Young auf dessen "Mirrorball"- Album) als auch getrennt. Beispielsweise veröffentlichte Gitarrist Mike McCready zusammen mit Layne Staley (Alice In Chains) und Barett Martin (Screaming Trees) als Mad Season das Album "Above", Sänger Eddie Vedder steuerte nicht nur zusammen mit Nusrat Fateh Ali Khan zwei Songs zum "Dead Man Walking"- Soundtrack bei, sondern auch bei Mike Watt's All- Star- Album "Ball- Hog Or Tugbout?" in Erscheinung. Und Bassist Jeff Ament veröffentlichte zusammen mit Robbi Robb (Tribe After Tribe) und Richard Stuverd das Debütalbum ihres Trios Three Fish.

" Dadurch, daß sich alle von dem entfernt haben, was von Pearl Jam erwartet wird, ist ein neues Feeling entstanden. Mike brachte von Mad Season eine Menge Selbstvertrauen mit. Stone Gossard, zweiter Gitarrist, der sich nebenbei um ein eigenes Label kümmert, steuert Hip Hop Elemente bei. Jack Iron (Ex- Red Hot Chili Peppers und Ex- Eleven), Schlagzeuger, der bei einem Stück auf "Vitalogy" schon sein Einstand gegeben hatte, aber erst seit Anfang 95 offiziell zu Pearl Jam gehört kam ins Studio, machte diese Schlagzeugs- Songs und schrieb auf dieser Basis weiter. Ich will nicht behaupten, daß dieses Album eine drastische Wende wäre, denn wir sind immer noch eine Rockband. Aber wir haben uns diesmal erlaubt, ein wenig abzuschweifen. Zum großen Teil lag das an Jack und daran, daß der Rest von uns offen war, Neues zu probieren. Wir tauschten untereinander Instrumente aus und schnitten viele Sachen direkt live mit. Das Musikmachen wurde mal wieder richtig aufregend."

Blicken wir einmal zurück auf die aufregenden Anfangstage: Jeff Ament und Stone Gossard spielen schon 1984 zusammen in der Band Green River und gründen Ende 1987 Mother Love Bone, deren einziges Album 1990 posthum nach dem Tod von Sänger Andrew Wood erscheint. Gossard und Ament lernen McCready kennen, die drei nehmen ein Demo auf, das über den Umweg des späteren Pearl Jam Drummer Jack Irons in die Hände Eddie Vedders gelangt, der zu den Instrumental- Stücken textet und singt, um das Tappe postwendend nach Seattle zurückgehen zu lassen. Mit Dave Krusen als Drummer gründen die vier Ende 1990 die Band Mookie Blaylock, ändern den Namen aber wenige Wochen später anläßlich einer Tour mit Alice In Chains in Pearl Jam.

Ende Mai 91, ein Vierteljahr vor der Veröffentlichung des Debüt- Album "Ten", verläßt Krusen die Band, doch zum Glück findet sich schon zwei Monate später mit Dave Abbruzzese ein geeigneter Nachfolger. Es beginnt das große Touren kreuz und Quer durch Amerika und Europa, wobei der Band aber noch die Zeit bleibt, für Soundtracks von "Single" und "Judgment Night" und den Sampler "Sweet Relief: A Benefit For Victoria Williams" ihre Beiträge abzuliefern. Stone Gossard findet sogar die Muße, mit seinem Nebenprojekt Brad ein Album einzuspielen. Im Oktober 1993 veröffentlichen Pearl Jam ihren Zweitling "Vs.". als die Band im nächsten Frühjahr ankündigt, daß sie beabsichtigt, die Eintrittspreise für ihre kommende Tour unter 20 Dollar zu halten und deshalb nicht mit Ticketmaster zusammenzuarbeiten, dem amerikanischen Marktführer in Sachen Ticketverkauf, dessen Gebühren sie für überteuert hält, sorgt das für einiges an Aufruhr. Denn die Tour muß schließlich abgesagt werden, da es aufgrund der vielen Exclusiv- Verträge zwischen Veranstalter und Ticketmaster nicht gelingt, Shows in Venues von angemessener Größe zu organisieren. Der Streit kommt vors amerikanische Kartellamt wegen Verdacht auf Monopol- Bildung.

Im September 94 steigt Abbruzzese aus, Anfang Dezember des Jahres erscheint "Vitalogy". Womit wir wieder quasi am Anfang dieser Story stehen, der Vollständigkeits halber muß allerdings noch hinzugefügt werden, daß Pearl Jam neben den Solo- Aktivitäten der Bandmitgliedern noch einiges gemeinsam an Start gebracht haben in den letzten 21 Monaten: Beiträge zum Soundtrack des Films "The Basketball Diaries" und den Benefiz- Sammler "Home Alive" und "Music For Our Mother Ocean", sowie eine Single namens "Merkinball" mit zwei Pearl Jam Songs, die während der Young'schen "Mirrorball"- Sessions entstanden waren. Ebenfalls ergänzenswert ist die Tatsache, daß die Untersuchung in Sachen Kartellbildung in der Ticketbranche eingestellt wurde, da ja inzwischen neue Ticket- Firmen auf der Bildfläche erschienen seien und insofern die Verhältnisse gar nicht so schlimm sein könnten; die Behörde wolle weitere Entwicklung jedoch beobachten. Pearl Jam äußerten sich enttäuscht über diese Entscheidung und erklärten, daß sie weiterhin im Sinne der Fans daran arbeiten wollten, die Eintrittspreise für alle erschwinglich zu halten.

"Es nervt gewaltig, daß das so ein Riesenthema ist", meint Ament. "Und es ist seltsam, daß diese Geschichte so sehr im Mittelpunkt dessen, was wir tun, steht. Aber wir haben nun mal Stellung bezogen, und wir werden auch dabei bleiben. Alles wofür Ticketmaster steht, ist das, wogegen wir kämpfen. Sie sind allerdings auch nur ein kleines Rädchen in dieser Maschinerie, in der der Künstler ganz unten rangiert."

Natürlich sei es frustrierend gewesen, daß sie wegen ihres Boykotts im letzten Jahr die Songs von "Vitalogy" nicht in dem Maße hätten live spielen können, wie sie es das gerne gewollt hätten. "Aber ich denke, wir haben genug Staub aufgewirbelt, so daß eine Reihe von Leuten es sich wohl zweimal überlegen werden, ob sie ihre Verträge mit Ticketmaster erneuern oder nicht, und es dann wieder viel mehr Auftrittsmöglichkeiten geben wird, die nicht exclusiv über Ticketmaster laufen." Trauert Ament nie den Millionen nach, die seiner Band wegen ihres heroischen Kampfes gegen das Böse durch die Lappen gegangen sind?

"Ich denke eher in größeren Zusammenhängen: Wir haben zwar in die letzten Jahre keine Millionen mit Touren verdient, aber auf der anderen Seite gibt es viele kleine Bands, die nicht nur von Ticketmaster ausgebeutet werden, sondern auch noch von ihren Plattenfirmen. Selbst wenn eine Band, die gerade am Anfang steht, 100.000 oder 200.000 Platten verkauft, läuft sie Gefahr, von ihrer Plattenfirma fallengelassen zu werden. Und sollten sie doch auf dem Label bleiben dürfen, für das sie gerade mal eben ein oder zwei Millionen eingefahren haben, müssen sie sich mit 600 Dollar im Monat längskommen. Das ist doch lächerlich. Aber so sind viele der Künste heute organisiert, daß die Manager und die Vertreiber viel mehr Geld machen als die Leute, die die Kunst machen. Es geht uns um Integrität und darum, für das einzustehen, woran wir glauben. Gleichzeitig muß man aber auch ein gewisses Gleichgewicht finden, damit so etwas nicht zum einzigen Thema wird, das die Band definiert. Es gibt jede Menge Themen, die es genauso verdient hätten, in den Mittelpunkt gestellt zu werden. Ich habe halt einfach nur ein ernstes Problem mit Geschäft um des Geschäftes willen, mit dieser Dollar- Mentalität. Ich habe ein ernstes Problem mit dem Bösen."

Verfasser: Manfred Upnmoor
Zeitschrift: Zillo November 1996
thx to Annette